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Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche

Es gibt keine geräuschlose Aufklärung! Zum Versuch der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche.

Am 25. Januar 2024 wurde die über 800 Seiten umfassende partizipative Studie der Evangelischen Kirche mit einer Pressekonferenz veröffentlicht. Sie trägt den Titel: „Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland„. Fast ein halbes Jahr nach Veröffentlichung der Studie haben Betroffene Sexualisierte Gewalt den hannoverschen Landesbischof Ralf Meister vor der 26. Evangelischen Landessynode in Loccum zum Rücktritt aufgefordert.

Die Betroffenen machen Meister insbesondere für Versäumnisse in der landeskirchlichen Fachstelle für sexualisierte Gewalt verantwortlich. Auch nach einer Neuaufstellung 2021 würden Betroffene „weiterhin sehr negative Erfahrungen“ mit der Fachstelle machen, heißt es in dem Brief vom Mittwoch. Mails würden nicht oder nur schleppend bearbeitet, Anliegen nicht bearbeitet, Daten teilweise ohne Zustimmung weitergegeben und „Betroffenen wird immer noch nicht geglaubt, wenn die Täter noch im Dienst sind“. Die Betroffenen werfen dem Bischof zudem vor, er habe sich nie persönlich bei ihnen entschuldigt.“ (Quelle: evangelisch.de – Meldung vom 5.6.24)

In den letzten Jahren hat die Evangelische Landeskirche in Niedersachsen vermehrt Anstrengungen unternommen, um Fälle sexualisierter Gewalt innerhalb ihrer Strukturen aufzuklären und den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dieses Engagement ist ein notwendiger Schritt, um das Vertrauen der Gemeindemitglieder wiederherzustellen und die Integrität der Kirche zu wahren.

Sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen ist kein neues Phänomen, aber lange Zeit wurde es durch eine Kultur des Schweigens und der Vertuschung verschleiert. Auch wurde angenommen, es wäre aufgrund des Zölibats ein Problem der Katholischen Kirche. In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch immer mehr Fälle bekannt, die die Öffentlichkeit erschütterten und die Kirche unter großen Druck setzten, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Eine der größten Herausforderungen besteht darin, die Strukturen und Mechanismen zu ändern, die solche Übergriffe ermöglicht haben. Dies umfasst sowohl die Prävention als auch die Aufklärung vergangener Fälle. Es ist ein schwieriger Prozess, der viel Mut und Entschlossenheit seitens der Kirchenleitung und der Gemeinden erfordert. Die Evangelische Landeskirche in Niedersachsen hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um sexualisierte Gewalt aufzuklären und zukünftige Vorfälle zu verhindern.

Trotz der groß angelegten wissenschaftlichen Studie scheint die Evangelische Kirche nicht in der Lage zu sein, die alten Strukturen abzulegen. Ich selbst habe auch erlebt, wie erstarrt diese Strukturen sind. Katharina Kracht hat es in der Pressekonferenz im Januar 2024 treffend beschrieben, es geht zunächst gar nicht um Aufarbeitung, das ist erst der zweite Schritt, der erste Schritt ist die Aufdeckung der Fälle. Fast ein halbes Jahr später zeigt sich aber: Es ist noch immer extrem schwer für Betroffene die gebotene Unterstützung durch die Kirche zu erhalten.

Es ist sehr lobenswert, dass die Evangelische Kirche ein großes Interesse daran zeigt, Sexualisierte Gewalt aufzuklären und dass sie die Strukturen, in denen Sexualisierte Gewalt ermöglicht wird, verändern möchte.

Ich möchte an dieser Stelle aber eine noch viel grundsätzlichere Frage stellen. Staat und Kirche sollen in unserem Staat getrennt sein, nach Artikel 137 Grundgesetz besteht keine Staatskirche.

Warum dürfen Kirchen dann selber die Aufklärungsarbeit von Straftaten durchführen? Warum wird es ermöglicht, dass Täter unter dem Deckmantel der Kirche der Verantwortung entkommen? Jede andere Einrichtung, in der Gewaltverbrechen stattfinden, würde doch umgehend von Polizei und Justiz zur Verantwortung gezogen werden. Warum wird das bei religiösen Einrichtungen nicht getan?

Die Studie hat deutlich gezeigt, die Evangelische Kirche stützt Täterstrukturen und fünf Monate nach der Veröffentlichung zeigt sich: Sie tut das auch weiterhin!

Weitere Informationen und Unterstützung

Video (auf YouTube) von der Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Studie: Vorstellung Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche am 25. Januar 2024.

Zeit Interview mit Katharina Kracht und Henning Stein: „Wir sind keine tragischen Einzelfälle“

Interview mit Katharina Kracht vom 26. Januar 2024: „Studie zu Missbrauch wichtiger Meilenstein

Die umfassende Partizipationsstudie herunterladen: Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland

Unabhängige Information für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie Zentrale Anlaufstelle .help

Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung in Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder

Hier können sie Kontakt zur Fachstelle Sexualisierte Gewalt aufnehmen: Fachstelle Sexualisierte Gewalt in der Landeskirche Hannover

Für alle betroffenen Menschen, die sich mit dem juristischen Schritt der Anzeige beschäftigen, möchte ich hier die Rechtslage zu den Verjährungsfristen veröffentlichen:

 

Allgemeine Verjährungsfristen bei Sexualisierte Gewalt: 

Sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB)

Einfacher sexueller Missbrauch: Verjährungsfrist beträgt 10 Jahre. Schwerer sexueller Missbrauch: Verjährungsfrist beträgt 20 Jahre. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§ 177 StGB)

Einfacher Fall: Verjährungsfrist beträgt 20 Jahre. Schwerer Fall: Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB):

Verjährungsfrist beträgt 20 Jahre. Besonderheiten bei minderjährigen Opfern: Für Straftaten, die an Minderjährigen begangen wurden, beginnen die Verjährungsfristen in der Regel erst mit Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers zu laufen. Das bedeutet, dass die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn das Opfer 30 Jahre alt wird. Diese Regelung soll sicherstellen, dass Betroffene genügend Zeit haben, um die Taten anzuzeigen, auch wenn sie erst Jahre später darüber sprechen können.

Ausnahmen und Sonderregelungen: In bestimmten schweren Fällen, wie beispielsweise Mord in Verbindung mit einer Sexualstraftat, gibt es keine Verjährung. Das bedeutet, dass die Täter ihr Leben lang strafrechtlich verfolgt werden können.

Veröffentlicht am 10. Juni 2024 in der Rubrik
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Hier schreibt Peter Wesche Beiträge über das Wesen der Transformation, Psychotherapie, Achtsamkeit, Trauma, Soziales und Politik.

Peter Wesche from Hannover in Germany. I'm a Hakomi therapist, working with bodycentered, mindfulness based Hakomi Psychotherapy, SATe - Somatic Attachment Therapy Experience and Mindfulness based Somatic Trauma Therapy.

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